Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche

Liebe Leserinnen und Leser,
in unserem Wochenkommentar thematisieren wir das Fehlen von ländlichen Themen im aktuellen Bundestagswahlkampf und illustrieren dies am Beispiel von Armut auf dem Dorf und dem Deutschlandticket. Ferner beschäftigen wir uns ausführlich mit der großen Demonstration von Jägern gegen das neue niedersächsische Landesjagdgesetz, erläutern die Forderungen der Jägerschaft und gehen auf die Reaktionen aus der Politik ein.
Die Parteien streiten im Wahlkampf momentan heftig über das Thema Migration. Gewiss, die Frage, wer unter welchen Bedingungen nach Deutschland kommen darf, ist von großer Bedeutung. Aber was ist eigentlich mit den anderen wichtigen Problemen, die die Menschen bewegen? Die Zukunft des Sozialsystems, Klimaschutz und vor allem die anhaltende Wirtschaftsschwäche drohen in den Hintergrund zu geraten. Erst recht gilt dies für die besonderen Belange und Herausforderungen im ländlichen Raum.
Ein oft verdrängtes Thema ist in diesem Zusammenhang Armut. Sie gibt es in der Stadt und auf dem Land. Im Dorf oder in der kleinen Kommune hat Armut allerdings ein anderes, eher verdecktes Gesicht. Denn die Scham der Betroffenen, Sozialleistungen oder eine andere Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist dort ausgeprägter als in der Großstadt. Und es existiert neben der schlechten Einkommenssituation meist eine zusätzliche Belastung, die inzwischen unter dem Begriff „Mobilitätsarmut“ zusammengefasst wird. Einfach ausgedrückt: Wer sich auf dem Land kein Auto leisten kann und kaum Nahverkehrsangebote findet, sitzt im wahrsten Sinne des Wortes im Dorf fest. Unser Autor Wolfgang Kleideiter hat sich angeschaut, was es eigentlich bedeutet, wenn fehlende Infrastruktur die Armut nochmals verschärft. In der kommenden Woche können Sie seinen entsprechenden Bericht in unserem Blog lesen.
Schon seit längerem scheint es große Teile der Berliner Politikszene im Grunde wenig zu interessieren, was die Menschen jenseits der großen Städte belastet, wie sie ihren Alltag gestalten und welche Wünsche sie an die Regierenden haben. Die Ausgestaltung des Deutschlandtickets etwa, das alle Bürger mit ihren Steuergeldern finanzieren, von dem aber vor allem großstädtische ÖPNV-Nutzer und Pendler profitieren, ist hierfür ein Beispiel. Vieles andere wird dagegen zwar freundlich-lächelnd zur Kenntnis genommen, dann aber auf die lange Bank geschoben oder verschwindet gar ganz auf Nimmerwiedersehen in der behördlichen Ablage. Landwirte etwa und Jäger können davon ein garstig Lied singen. Seit Jahren schon müssen sie sich gegen Einschränkungen und Auflagen wehren, die ihre traditionellen Eigentumsrechte teils massiv bedrohen. Und es wächst der Eindruck, in der landwirtschaftlichen oder auch jagdlichen Praxis zu sehr eingeschränkt und bürokratisch gegängelt zu werden.
Kein Wunder, dass sich die Betroffenen gegen solche als Zumutung empfundene Maßnahmen wehren. Man denke hier nur an die großen Bauernproteste im vergangenen Jahr. Oder auch an die jüngste Demonstration von Jägern gegen das geplante neue niedersächsische Landesjagdgesetz. So etwas hat es laut Medienberichten in Hannover lange nicht gegeben. Tausende Jäger verwandelten das Zentrum der Landeshauptstadt in ein Meer aus Orange. Laut Polizei hatte die Landesjägerschaft mehr als 15.000 Menschen mobilisiert. Die Veranstalter sprachen von gar von 20.000 Teilnehmern. Helmut Dammann-Tamke, Präsident des Deutschen Jagdverbandes und auch der Landesjägerschaft Niedersachsen, erklärte: „Die Menschen im ländlichen Raum sind unzufrieden.“ Besonders kritisierte er am neuen geplanten Landesjagdgesetz die Einschränkung bei der Ausbildung von Hunden. Das werde am Ende zu weniger Tierschutz in der Jagd führen. Und Karl Walch, Präsident des Jagdgebrauchshundeverbandes, betonte, es gehe darum, auch in Zukunft gut ausgebildete Hunde auf der Fläche zu haben. Daher müsse man weiter mit lebenden Tieren trainieren dürfen. Der SPD-Politiker Christoph Wille verteidigte dagegen unter lauten Buh-Rufen und Pfiffen aus dem Publikum den Plan, dass Hunde künftig wegen der Einsturz- und Verletzungsgefahr nicht mehr in natürlichen Fuchsbauten jagen dürften.
Ministerin mit Buh-Rufen empfangen
Ein neues Eckpunkte-Papier aus dem Landwirtschaftsministerium bleibe unkonkret und nebulös, kritisierte Dammann-Tamke: „Wenn es nicht bald anders ist, dann kommen wir wieder.“ Auch der Chef der CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag, Sebastian Lechner, betonte: „Dieses Gesetz darf den Landtag nicht erreichen. Wir brauchen nicht mehr Regeln vom grünen Küchentisch.“ Die grüne Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte, die von den Demonstranten mit Buh-Rufen und Pfiffen empfangen wurde, verteidigte dagegen ihre Pläne, vor allem die Einschränkungen beim Abschuss von Hunden und Katzen. Es sei davon auszugehen, dass nach der Sommerpause ein Gesetz im Kabinett vorliegen könnte. Bereits im Vorfeld der Demonstration hatte Staudte in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mit Unverständnis auf die Proteste der Jäger reagiert. Sie könne den Unmut in der Jägerschaft nicht nachvollziehen. Die Aufregung liege darin begründet, dass einfach sehr viele falsche Informationen kursieren würden, meinte die Grünen-Politikerin.
Beim Konflikt um das geplante neue niedersächsische Landesjagdgesetz geht es nicht nur um die konkreten Verhältnisse in einem einzelnen Bundesland. Vielmehr bestätigt sich hier ein genereller Trend, bestimmte traditionelle Themen entweder wie jetzt im Bundestagswahlkampf auszuklammern oder aber für ideologisch geprägte Experimente zulasten der unmittelbaren Betroffenen zu nutzen. Exemplarisch zeigt sich dies am derzeitigen Stand des Jagdwesens in Deutschland. Unser Autor Christoph Boll hat dies in dieser Woche in seinem Beitrag „Jagd zwischen Ideologie und Auftrag“ genauer herausgearbeitet. Urbanisierungtendenzen und die damit einhergehende Entfremdung von der Jagd in der Breite der Gesellschaft machen sich zunehmend auch im ländlichen Raum breit. Zudem hätten Tierrechtler sowie weite Teile des Natur- und Artenschutzes eine ideologische Grundstimmung geschaffen, in der jede Tötung eines Tieres nahezu als Sakrileg erscheine. Es gebe ein „massives Fremdeln mit natürlichen Abläufen und Gegebenheiten“.
Forderungen der Jäger
Ein großer Teil gerade der städtischen Bevölkerung hat sich weit von den natürlichen Kreisläufen und den Verhältnissen im ländlichen Raum entfernt. Entsprechend schwer fällt es da, die sachlich gebotene, öffentliche Aufmerksamkeit im Wahlkampf zu verschaffen. Dies gilt natürlich auch für die elf Kernforderungen des Deutschen Jagdverbandes (DJV) zur Bundestagswahl. Sie zeigen die Richtung an, in die sich die Politik nach den Vorstellungen einer wichtigen Gruppe von Naturnutzern bewegen sollte. Es sind dies:
1.Gesellschaftliche Bedeutung der Jagd anerkennen
2. Waffengesetz praxistauglich überarbeiten
3. Regional differenziertes Wolfsmanagement einführen
4. Wildökologische Raumplanung implementieren
5. Waldumbau wildtierfreundlich gestalten
6. Agrarpolitik wildtierfreundlicher gestalten
7. Lebensräume wieder vernetzen
8. Raumplanung für Solarparks mit Biotopverbund im Blick
9. Afrikanische Schweinepest effektiver bekämpfen
10. Umbau von Schießständen fördern
11. Jagdliche Unfallversicherung frei wählbar gestalten.
Ich wünsche Ihnen eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen
Ihr Jürgen Wermser
Redaktionsleitung/Koordination
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